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Glasfaserkabelchaos
Fortschritt in Schildbürger-Manier
Juhu, wie bekommen Glasfaser

Ja, unser 4.500-Seelen-Dorf soll endlich Glasfaseranschluss bekommen. Für mich als digital Native war das eine heilbringende Nachricht. Denn trotz der von der Telekom per Vectoring auf 100 MBit hochgepimpten Kupferleitung, kommt es doch gelegentlich zu Schwankungen in der Leistung.

Ein regionaler Anbieter mit der gewöhnungsbedürftigen Abkürzung FNOH traf eine lockere Absprache mit unseren Gemeindevertretern und durfte überall groß Werbung aufstellen. Auch die Gemeinde selbst lobte sich im Dorfblättchen kräftig angesichts der Vereinbarung mit dem Unternehmen. Jeder mit Interesse an schnellem Internet brauchte nur auf die Webseite von FNOH zu gehen und dieses Interesse kundzutun. Denn für den Anbieter muss sich der Ausbau ja rentieren. Es bedurfte also einer gewissen Quote, damit die Arbeiten tatsächlich beginnen können. Selbstverständlich war ich (vermutlich) einer der Ersten, der sich in die Liste eingetragen hat, und da ich die Sache mit der Rentabilität nachvollziehen konnte, schaute ich regelmäßig nach, wie die Quote stieg. Die Enttäuschung angesichts des demonstrativen Desinteresses meiner Mitbürger war daher groß, als die Werte nach einem anfänglich guten Start auf einem viel zu niedrigen Stand verharrten.

Einige Wochen später erreichte uns Willige dann die ernüchternde Nachricht des Anbieters. Es waren nicht genügend Menschen in unserem Ort zusammengekommen, die der Zukunft eine Chance geben wollten. Die Quote war einfach zu gering. Das Projekt wurde abgeblasen, die getroffenen Vereinbarungen annulliert.

Ein neuer Player – und ein alter

Doch eines Tages tauchten im Gemeindebrief erneut das Thema „Glasfaserausbau“ auf. Jetzt wollte man es mit einem der Platzhirsche der Branche versuchen, der „Deutschen Glasfaser (DG)“. Und was so ein guter Deutscher ist, der findet bei einem Unternehmen mit dem nationalistisch anmutenden Namen „DEUTSCHE Glasfaser“ plötzlich sogar Gefallen an schnellem Internet. Und so war es für diese Firma ein Leichtes, die erforderliche Quote zu erreichen. Brav steckte somit bald in fast jedem Garten das kleine blauweiße Schild mit der Aufschrift „Ich bin dabei“ – selbstverständlich auch bei mir, wenn ich auch lieber mit einem regionalen Anbieter zusammengearbeitet hätte. Dann geschah lange nichts. Auf Nachfrage bei der Gemeinde erfuhr man zwar, dass die DG trotz ausreichender Quote nun die Umsetzung prüfe. Sonst herrschte aber Stille.

Daher war ich völlig überrascht, als vor wenigen Wochen ein großes Plakat im Ortskern darüber informierte, dass FNOH nun mit dem Ausbau beginne und jeder, der sich ihnen anschließt, noch einmal ganz besondere Konditionen erhält. Ich konnte es kaum glauben, doch in einem ausführlichen Telefonat mit einem Vertreter des Unternehmens wurde mir bestätigt, dass die Bauarbeiten am Bahnhof bereits begonnen hätten. Da die DG noch immer nichts verlauten gelassen hatte, stornierte ich die Vereinbarung mit ihnen wieder und schloss erneut eine mit FNOH.

Das Chaos bricht aus

Ab diesem Zeitpunkt brach das Chaos im Ort aus. Plötzlich tauchten überall Bagger und Absperrungen auf. Gehwege wurden aufgerissen und riesige Kabelrollen warteten auf die Verlegung. Doch eben nicht nur von dem regionalen Anbieter, wie man denken könnte, sondern auch von der Deutschen Glasfaser. Denn die hatten offensichtlich gemerkt, dass ihnen die Felle davonschwimmen, wenn sie nicht schnell reagieren. Also mobilisierten sie alles an Personal und Ressourcen, dessen sie habhaft werden konnten und begannen damit einen Wettlauf mit der FNOH um unseren kleinen Ort.

Kabelsalat

Das wurde dann irgendwann auch den Bürgern und Gemeindevertretern zu bunt und zu unübersichtlich. In der festen Absicht, die Bauarbeiten geordnet durchzuführen, wurde versucht, eine gütliche Einigung zwischen Gemeinde, der DG und der FNOH zu finden. Ich war zwar bei den Gesprächen nicht anwesend, aber ganz offensichtlich waren sie nicht erfolgreich. So wie mir der Vertreter des regionalen Anbieters sagte, hatten sie vorgeschlagen, dass sie sich den Ort mit der DG einfach aufteilen. Doch was so ein abgehobenes Großunternehmen ist, die lassen sich auf keinen Deal mit einem kleinen Krauter, wie der FNOH ein.

Dadurch wurde es jetzt richtig absurd. Überall im Ort rissen Bagger verschiedener Bautrupps sämtliche Gehwege gleich zweimal auf, erst für den einen, dann für den anderen Anbieter – eine unglaubliche Verschwendung von Geld und Ressourcen.

Mir kanns egal sein, aber…

Am Ende kann es mir egal sein. Hauptsache ich bekomme endlich schnelles Internet. Aber hätte man ein solches Chaos und eine solche Verunsicherung der Bürger nicht vermeiden können? Was soll das? Weshalb hat FNOH plötzlich doch mit dem Ausbau begonnen? Weshalb war die DG nicht zu einer Einigung bereit? Und weshalb haben unsere Gemeindevertreter nicht mal auf den Tisch gehauen und ihr Hausrecht durchgesetzt, indem sie für Ordnung bei den frei drehenden Anbietern sorgen?

Ich hoffe nur, dass der allgegenwärtige Baulärm im Ort irgendwann einmal abklingt und ich dann – hoffentlich – mit einer 1 Gbit-Leitung wirklich schnelles Internet nutzen kann. Der Luxus von zwei Glasfaserleitung vor der Tür nützt mir hingegen gar nichts. Keine Ahnung, was das sollte. Ich glaube aber, es war eine Kombination aus Unfähigkeit bei der Gemeinde, Arroganz bei der DG, und Inkonsequenz bei FNOH. Und wir Nutzer sitzen nur da und können mit dem Kopf schütteln. Früher nannte man so etwas einen Schildbürgerstreich.

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