Schon in verschiedenen Buchkritiken outete ich mich als Stephen-King-Fan. Mir gefällt, wie er den Leser durch seinen Schreibstil in die Geschichten hineinzieht, ihn praktisch zu einem Teil der Handlung macht. Deshalb besitze ich auch eine beachtliche Sammlung an Büchern dieses Autors, die aber längst noch vollständig ist. Viele der Bücher habe ich auch noch nicht gelesen, einige hingegen durchaus – und meist mit Freuden.
Mit »The Stand« versuchte ich mich zum zweiten Mal an einem Hörbuch des Schriftstellers (das erste war »Der Anschlag«, von dem ich allerdings aus mir unverständlichen Gründen keine Kritik verfasst habe). Der Roman ist die Langversion, sozusagen der Directors Cut, des Buches »Das letzte Gefecht« und bringt es in gedruckter Form auf einen beachtlichen Umfang von über 1.700 Seiten (Heyne-Ausgabe). Daher zog sich auch die Hörbuch-Version über mehr als 54 Stunden hin. Gelesen wurden die Texte von David Nathan, einem Sprecher, dies bereits vorweg, dem ich stundenlang zuhören könnte.
Der Autor
Zunächst aber etwas über den Autor. Eigentlich dürfte Stephen King bei den meisten lesenden Menschen bekannt sein, sei es, weil sie ihn in der Erwartung blutiger Horrorgeschichten von vornherein ablehnen, sei es, weil sie ihn schlichtweg lieben. Denn die Fangemeinde ist riesig. Weniger bekannt ist jedoch, dass King zwar den Horror-Stempel auf der Stirn hat, aber noch vieles mehr geschrieben hat. Dazu zählen Fantasy (»Der dunkle Turm«), Science-Fiction (»Running Man«), Drama (»The green Mile«) oder auch das sozialkritische Gesellschaftsporträt »Atlantis«.
Die Handlung – Ein nur allzu vertrautes Szenario
In einem militärischen Forschungslabor wird ein Virus freigesetzt, dem 95 % der Menschheit zum Opfer fallen. Die wenigen Überlebenden, zu denen auch der Fabrikarbeiter Stu Redman aus Arnette, Texas, gehört, finden sich im Laufe der Geschichte zusammen und streben einem Ziel zu, das ihnen ihre Träume vorgegebene haben. In diesem Träumen erscheint ihnen die 100-jährige Mutter Abigail, die sie auffordert für einen letzten Kampf zu ihr nach Hemingford Home, Nebraska, zu kommen. Gemeinsam mit ihr macht sich die Gruppe auf den Weg nach Boulder, Colorado, und gründet dort die sogenannte »Freie Zone«. Bevor Mutter Abigail stirbt, fordert sie Stu Redman und einige andere auf, sich auf den Weg nach Las Vegas zu machen, und sich auf das letzte Gefecht vorzubereiten.
Denn in Las Vegas hat sich eine ganz andere Art von Gemeinschaft herausgebildet, angeführt von dem charismatischen, aber auch unheimlichen Randall Flagg. Seine Ziele sind ganz anderer Natur und sie haben nichts mit dem Aufbau einer friedlichen neuen Gesellschaft zu tun.
King in Reinform
Wie eingangs bereits beschrieben, schafft es King immer wieder, den Leser durch seinen Schreibstil tief in die Geschichten hineinzuziehen. Dieser Stil wird von einigen zuweilen als langatmig oder gar langweilige angesehen. Ich bin da völlig anderer Meinung. Gerade die detailreiche Beschreibung von Personen, nebensächlich erscheinenden Begebenheit und Gegenständen, machen das Gelesene so bildhaft und authentisch. Auch wenn man den Namen eines erwähnten Schokoriegels oder einer Fastfood-Kette hier in Deutschland nicht kennt, hat man als Leser das Gefühl von Vertrautheit. Die Akteure werden zu Freunden oder Feinden, man fiebert mit, leidet mit und ist im Grunde Teil der Handlung. Die Strapazen der Reise von Nebraska nach Colorado und später die einer kleinen Gruppe von Colorado nach Las Vegas erlebt man live mit, eben weil sie so detailreich beschrieben wird. Ja, es gibt durchaus Längen, bei einem Directors Cut ist das nicht zu vermeiden. Warum sonst hätte man sie herausschneiden sollen. Doch diese Längen kamen – zumindest in meinem Fall – meist einer willkommenen Erholung gleich. Denn die nächste Katastrophe, das nächste Erscheinen des gruseligen Randall Flagg, ließ oft nicht besonders lange auf sich warten. Und genau so ist King, und so ist »The Stand«. Detailreich, nah an den agierenden Personen und unheimlich atmosphärisch.
Doch es gibt auch einige wenige, insgesamt eigentlich sogar unbedeutende Punkte in dem Roman, die nicht unbedingt nötig gewesen wären. Der übersinnliche Teil, der sich in der Regel in den Träumen der Protagonisten zeigt, war meines Erachtens eine Spur zu dick aufgetragen. Das hätte King durchaus dezenter und realistischer gestalten können. Etwas mehr Zurückhaltung hätte ihm auch bei den religiösen Gedankengängen gut getan. Sicher, es ging im Grunde um Gut gegen Böse, Gott gegen Teufel, doch in einigen Szenen wirkte dieser Konflikt zu klerikal, zu sehr auf die biblische Auseinandersetzung mit dem Thema konzentriert. Auch hier wäre weniger mehr gewesen.
Das Erschreckende ist jedoch, die Aktualität der Handlung. Bei einem Virus, das den größten Teil der Menschheit wegrafft, werden wohl in diesen Zeiten die meisten hellhörig. Glücklicherweise ist es in der Corona-Realität nicht ganz so schlimm gekommen (und dennoch schlimm genug). King hat aber mit seinem Roman in gewisser Weise prophetische Fähigkeiten gezeigt, oder er hat zumindest erkennen lassen, dass es nicht eine Frage ist, ob es zu einer solchen Katastrophe kommt, sondern lediglich wann.
»The Stand« ist ein Endzeit-Epos, das mit seinen 1.700 Seiten (bzw. 54 Stunden) nicht für jedermann geeignet ist. Es geht gelegentlich recht brutal zu, wenn auch die Horror-Elemente sich im Vergleich zu der übrigen Story eher bescheiden ausnehmen. Doch wer sich an den Roman wagt, muss damit rechnen, in die Erzählwelt eines King hineingezogen zu werden. Der Leser wird mit unzähligen Details gefüttert und hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder er wird zu einem Teil der Geschichte und kann sich nur mit Mühe daraus lösen, oder er findet die Handlung insgesamt viel zu langatmig und träge. Dann dürfte King allerdings generell nicht sein Ding sein. Da ich »The Stand« grundsätzlich während des Nordic Walkings gehört habe und ich neben dem fesselnden Plot auch noch begeisterter Hörer des Sprechers David Nathan bin, sah ich mich manchmal gezwungen, meine Walking-Strecken etwas zu erweitern. Denn ich wollte wissen, wie es weitergeht.
Empfehlen kann ich das Buch allen, die eine bildhafte und weit ausladende Sprache in einer gleichzeitig fantastischen, aber auch realistischen Geschichte lieben und die nicht vor richtig dicken Wälzern zurückschrecken. Fans der schnellen Action und eher zart Besaitete sollten hingegen die Finger von dem Roman lassen.