Das viel zitierte Kind im Manne bricht auch bei mir immer wieder gerne hervor, wenn es um das Literatur-Genre der Science Fiction geht. Neben der Fantasy bietet keine andere Literaturgattung so viel Spielraum zum Ausleben verrückter Fantasien. Dabei wird Science Fiction oft in die Ecke der billigen Schundromane gestellt. Vermeintlich ernsthafte Kritiker würdigen diese Bücher keines Blickes, geschweige denn einer Kritik. Verkannt wird damit bewusst, dass es oft namhafte Wissenschaftler und Vordenker sind, die in ihren Geschichten allgemeine Erkenntnisse aus der Forschung oder gesellschaftliche Entwicklungen weiter denken. Und nicht selten erweisen sie sich so als frühe Propheten unserer heutigen Zeit. Bestes Beispiel hierfür ist George Orwell mit seinem bedrückenden und heute in vielen Details nur allzu realen Roman „1984“.
Doch es gibt auch schlichte Unterhaltungs-Science-Ficition. Die seit Jahrzehnten erfolgreiche Perry-Rhodan-Romanserie gehört eindeutig dazu. Einer der Erfinder dieser in unzählige Sprachen übersetzten Abenteuergeschichten ist Walter Ernsting.
Der Autor wurde 1920 in Koblenz geboren und wuchs im Ruhrgebiet und im Rheinland auf. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges gerät in Gefangenschaft und wird 1947 zusätzlich zu fünf Jahren Straflager verurteilt. Ab 1952 arbeitet er als Übersetzer bei den britischen Besatzungsbehörden und kommt während dieser Zeit erstmals mit Science Ficition in Berührung. 1954 wird er Redakteur beim Pabel Verlag, der sich auf englischsprachige Schriftsteller spezialisiert hat. Mit einem Trick (unter dem fiktiven Namen Clark Darlton reicht Ernsting eine Geschichte beim eigenen Verlag ein) gelingt es ihm 1955 seinen ersten Roman „Ufo am Nachthimmel“ zu veröffentlichen. Zwei Jahre später wird er hierfür mit dem deutschen „Hugo“ ausgezeichnet. Nachdem einige weitere Bücher unter seinem Pseudonym erschienen, begründete er 1961 gemeinsam mit Karl-Herbert Scheer das Perry-Rhodan-Universum. Insgesamt hat Ernsting, der 2005 in Salzburg starb, unter verschiedenen Pseudonymen über 300 Romane und unzählige Kurzgeschichten veröffentlicht, die meisten davon als Clark Darlton.
„Der Todeskandidat“ ist eine Kurzgeschichtensammlung Ernstings mit elf Geschichten aus der Zeit zwischen 1955 und 1971.
Ein Mann kämpft um seine Unschuld. Er soll seine Frau und seinen Sohn ermordet haben. Erst moderne Technik beweist, dass er sie nicht umgebracht hat.
Auf der Erde landet eine Rakete mit einem Außerirdischen. Dieser erweist sich als sehr lernfreudig und wahre Frohnatur. Warum das so ist, erfahren die Wissenschaftler aber nie.
Ein Impfstoff steigert die Intelligenz von Affen erheblich, bis eines Tages die ersten Orang-Utans aus den Laboren verschwinden und die Experimente der Wissenschaftler unkontrollierbare Erfolge zeigen.
Warum sind Katzen so wie sie sind? Die Antwort liegt weit in der Vergangenheit im Weltall.
In einer heillos überbevölkerten Welt hängen Überleben und plötzlicher Tod von maschinengesteuerten Zufallsmechanismen ab, der Auslese. Nur wer sich im richtigen Moment wehrt, wird von der Auslese ausgeschlossen.
Ein unbekannter Invasor bemächtigt sich der Gedanken vieler Menschen und bestimmt fortan deren Denken und Handeln. Wissenschaftler suchen nach einer Möglichkeit, die Besessenen zu erkennen, doch die Übernahme ist bereits bis in höchste Kreise fortgeschritten.
Drei Außerirdische müssen auf einem Planeten notlanden und treffen dort auf primitive Eingeborene. Die Erinnerung an diesen Besuch hat sich bis heute erhalten.
Ein kleiner Sachbearbeiter in der Kolonialverwaltung soll die Plage in einer fernen Kolonie untersuchen. In seiner Überheblichkeit unterläuft ihm dort ein folgenschwerer Fehler.
Ein Mann überfällt einen Fernsehsender, um allen mitzuteilen, dass die Einnahme des allseits beliebten Beruhigungsmittels hochgradig gleichgültig und kritiklos macht. Nur hört ihm niemand mehr zu, denn alle haben Sanogal genommen.
Ein Kreis aus befreundeten Wissenschaftlern diskutiert über die Zeit. Die Meinungen zur Möglichkeit einer Zeitreise gehen weit auseinander, bis einer der Professoren einen anschaulichen Beweis liefert.
Verurteilte werden nicht mehr hingerichtet, sondern 500 Jahre in der Vergangenheit geschickt. So auch ein Unschuldiger, der dem Richter wegen eines Familiendisputs im Weg steht. Dafür wird dieser Opfer einer sehr langfristig geplanten Rache.
Die Geschichten in diesem Buch sind insgesamt gesehen typisch für das Genre. Zeitreisen, Raumschiffe, Außerirdische, viele klassische Elemente der Science Fiction finden sich hier wieder. Als jemand, der bereits unzählige solcher Kurzgeschichten gelesen hat, war ich daher auch nicht enttäuscht, keine echten Überraschungen vorzufinden. Vorhersehbare Handlungen wechselten ab mit teilweise etwas schwer verständlichen Plots und doch war alles zusammen leidlich unterhaltsam und kurzweilig. Dabei nimmt die Qualität der Geschichten zum Ende hin deutlich zu, was vermutlich daran liegt, dass „Mord ohne Mörder“ aus dem Jahr 1955 und „Vom Wesen der Zeit“ 1971 entstanden ist. Der Autor hat sich spürbar weiterentwickelt. Zwischendurch blitzt sogar ein wenig Humor aus den Zeilen. So muss man bei „Die Elefantenplage“ oder „Der Pionier“ angesichts des typisch menschlichen Verhaltens schmunzeln. Nachdenklich wird es insbesondere dann, wenn es um philosophische Betrachtungen geht, beispielsweise bei der Frage nach der Möglichkeit von Zeitreisen. Doch wird kein Thema wirklich wissenschaftlich betrachtet, auch wenn Ernsting/Darlton es gerne so erscheinen lassen möchte. Dafür ist die Sprache zu schlicht, sind die angerissenen Theorien zu wenig fundiert und vor allem die Geschichten zu kurz.
Der Kurzgeschichtenband „Der Todeskandidat“ ist schnell durchgelesen und wird ebenso schnell wieder dem Vergessen anheimfallen. Die Geschichten plätschern locker dahin, ohne tatsächlich zu fesseln. Doch auch langweilig sind sie nicht unbedingt. Als versierter Science-Fiction-Leser hat man jedoch alles in ähnlicher Form schon einmal gelesen. Daher kommt keine Pointe sonderlich überraschend, kein Ende allzu plötzlich. Als kleiner trivilial-literarischer Imbiss zwischendurch ist das Buch gut geeignet. Wie ein Hamburger bei McDonalds, so wird aber auch dieser Imbiss kaum lange anhalten und man braucht relativ bald etwas Gehaltvolleres. Allerdings: Nach der überaus schweren Kost von „Die Nebel von Avalon“, war „Der Todeskandidat“ für mich ein federleichter Snack, der aber schon ein paar Stunden im Kühlscherank gestanden hat und daher nur noch bedingt Geschmack hatte.