Stephen King ist Garant für hochwertigen, teils subtilen Grusel und selbst Menschen, die noch kein Buch des Autors gelesen haben, können zumindest mit dem Namen etwas anfangen. Dies veranlasste offensichtlich auch den Bastei-Lübbe-Verlag, auf das Cover des Kurzgeschichtenbandes „Popsy“ in großen roten Lettern den Name des Verfassers von „Shining“, „Carrie“, „Es“ oder „Friedhof der Kuscheltiere“ zu schreiben. Dabei ist nur eine der enthaltenen 26 Geschichten von King. Doch die hat es, wie viele weitere, in sich.
Der Herausgeber J.N. Williamson (geb. 1932 in Indianapolis, Indiana, gestorben 2005 in Noblesville, Indiana) ist in den USA als Verfasser und Lektor von Horrorgeschichten bekannt. Mit einem Vorwort führt er in die Sammlung „Popsy“ ein. Auch lässt er es sich nicht nehmen, zu jeder einzelnen Geschichte einige Hintergründe zu berichten, die vielfach von seinen Begegnungen mit den Autoren und den dabei gewonnen Eindrücken handeln. Leider verliert er sich allzu häufig in übertriebene Lobhudelei, die für den unbedarften Leser nur schwer nachvollziehbar ist. Doch glücklicherweise kann man die Einleitungen geflissentlich ignorieren, denn sie schmälern die Qualität der Kurzgeschichten keineswegs.
An dieser Stelle auf jede Einzelne der 26 Erzählungen einzugehen, würde den Rahmen meiner Kurzkritik vermutlich sprengen. Daher möchte ich stellvertretend nur einige erwähnen, die mich besonders beeindruckt haben. Es geht um den Horror, den Grusel, um das Geheimnisvolle, mit dem uns die Phantasie immer wieder konfrontiert – sei es in Träumen oder Geschichten, die wir glauben können oder eben auch nicht.
Den Anfang macht Stephen King mit der Titelstory „Popsy“. Ganz wie man es von diesem Autor kennt, wird bei ihm aus einer alltäglichen Situation das nackte Grauen. Um seine Spielschulden zu begleichen, soll ein Kleinkrimineller für Mr. Reggie Kinder entführen. Als seinem aktuellen Entführungsopfer der Großvater zur Hilfe eilt, geht alles entsetzlich schief. Und wieder fasziniert King mit seinem Talent, einen Bogen zu ziehen, der von einer ganz normalen Handlung, in die man sich mehr oder weniger problemlos hineinversetzen kann, bis zu einem völlig bizarren Ausgang reicht. Er verwendet dabei Versatzstücke des klassischen Horrorgenres und fügt sie fließend in das Alltägliche ein, was den Kontrast umso deutlicher macht.
Eine sehr böse Geschichte mit einem Ende, das man zwar erahnt, bei dem man aber hofft, dass es nicht so kommen wird, ist „Der Autofriedhof“ von William F. Nolan. Schon seit Jahrzehnten gruseln sich die Kinder eines kleinen Ortes vor dem Schrottplatz am Ortsrand. Sowohl der Besitzer als auch dessen hässlicher Hund haben etwas Unheimliches und jagen den Bewohnern einen Schauer über den Rücken. Bisher ist noch niemand misstrauisch geworden, dass immer wenn der hässliche Hund am Straßenrand steht, unmittelbar danach ein Unfall geschieht. Und der Eigentümer des Autofriedhofs ist stets der Erste vor Ort. Auch Nolan spielt mit klassischen Elementen, doch weniger offensichtlich. Dennoch strahlt die Erzählung eine dauerhaft bedrückende Atmosphäre aus, die einen von Beginn an fesselt.
Neben den längeren Geschichten gibt es auch einige Zweiseiter, und ich beneide Autoren, die es schaffen, eine Handlung derart zu komprimieren und trotzdem Spannung zu erzeugen. „Hund, Katze und Baby“ von Joe R. Lansdale ist ein solches Kurzwerk, das aus der Sicht ziemlich gemeiner Haustiere erzählt wird. „In Kürze verstorben“ von Richard Matheson lässt in einem Dialog zwischen Bestattungsunternehmer und seinem Kunden mehr und mehr den Grusel durchschimmern, bis am Ende die Ahnung des Lesers zur Gewissheit wird.
„Popsy“ ist eine Sammlung erstklassiger Grusel- und Horrorgeschichten, die trotz des werbewirksamen Namens von Stephen King erheblich mehr zu bieten hat, als den typischen King-Stil. Viele der Autoren dürften den meisten in unseren Breitengraden kaum etwas sagen, doch bekommt man durch die Lektüre des Buches Lust auf mehr – sofern man ein Freund des Unheimlichen ist. Das zaghafte Kribbeln in der Magengrube, während man eine der Kurzgeschichten liest, hält fast das ganze Buch über an. Es gibt eigentlich keine Erzählung in dem Band, die einen nicht in irgendeiner Form in ihren Bann zieht. Manchmal bleiben vielleicht einige Fragen unbeantwortet. Doch ist dies gewollt und führt dazu, dass das Gelesene noch eine erhebliche Weile im Kopf nachhallt. Mir hat die Lektüre Spaß gemacht und ich werde mich sicherlich nach mehr Literatur der im Sammelband „Popsy“ enthaltenen Autoren umsehen.