Nicht immer lese ich Buchserien der Reihe nach! Eigentlich sollte man es ja nicht machen, aber ich begehe einen derartigen literarischen Frevel stets wieder aufs Neue. Manchmal picke ich mir einfach mittendrin einen Teil heraus. So tat ich es auch bei dem Kriminalroman „Morpheus“ von Jilliane Hoffman. Und auch dieses Mal hat sich meine Erfahrung bestätigt, dass es oft völlig unschädlich ist, den zweiten Teil vor dem Ersten zu lesen.
Jilliane Hoffman, geboren 1967 in Long Island, Florida, beschreibt in ihrem Roman den harten Alltag einer Staatsanwältin – und von diesem Thema versteht sie eine Menge. Denn sie arbeitete vor ihrem schriftstellerischen Debüt als stellvertretende Staatsanwältin und juristische Beraterin von Spezialeinheiten der Polizei. So lag es nahe, dass sie sich dem allzu vertrauten Metier auch in ihren Büchern widmete. Bereits ihr erster Thriller „Cupido“ (2004) wurde zum Bestseller. Der Roman „Morpheus“, dem ich mich heute widmen werde, ist der zweite Teil dieser dreiteiligen Trilogie.
Die Staatsanwältin C.J. Townsend hat ein dunkles Geheimnis. In einem früheren Fall hatte sie Beweise so manipuliert, dass ein Massenvergewaltiger, dem auch sie selbst zum Opfer gefallen war, als Massenmörder zum Tode verurteilt wurde. Den wirklichen Killer der Mordserie an jungen Frauen kannte sie – und sie wusste, dass der längst tot war. Doch nun, drei Jahre später, werden erneut Leichen gefunden. Dieses Mal trifft es Polizisten, die C.J. damals bei der Manipulation geholfen hatten und deren Westen auch sonst nicht sonderlich rein sind. Auf bestialische Weise treibt der Mörder C.J. vor sich her, und sie ist überzeugt, dass es dieses Mal wirklich ihr Vergewaltiger ist – obwohl der seit seiner Verurteilung im Todestrakt sitzt. Wer aber könnte noch ihre intimsten Geheimnisse kennen. Hin und her gerissen zwischen Selbstzweifeln und der Angst vor der Wahrheit, beginnt sie den Kampf gegen sich selbst und das Monster mehr und mehr zu verlieren. Dabei übersieht sie völlig, dass sie Verbündete hat.
Zunächst einmal muss ich gestehen, dass ich eigentlich nicht so der Thriller-Leser bin. Ist mir alles zu realistisch und zu wenig abwechslungsreich. So bin ich eher relativ unmotiviert an das Werk von Jilliane Hoffman herangegangen. Und die ersten hundert Seiten überzeugten mich auch nicht davon, dass ich mehr zu erwarten hatte, als eine routinierte Krimi-Gerichts-Geschichte. Staatsanwältin wird bedroht, ihr Geliebter, zufällig Polizist, ist der Held und rettet sie vor dem Bösen. Ohne jetzt spoilen zu wollen, aber genau so ist – kurz gesagt – der Plot. Dazwischen nimmt der Roman dann doch etwas an Fahrt auf und entwickelt eine gewisse Spannung. Die wird zwar immer mal wieder von störenden und recht unpassenden Liebesszenen zwischen C.J. und ihrem Freund Dominick unterbrochen, aber insgesamt wird man ausreichend bei der Stange gehalten. Auch wenn die Handlung einigermaßen berechenbar ist, will man irgendwann dann doch wissen, wer es denn nun ist, der die korrupten Polizisten auf dem Gewissen hat.
Ein Gefühl beschlich mich allerdings bereits ganz zu Beginn des Buches: Mir kam die Atmosphäre der Geschichte irgendwie seltsam bekannt vor – nicht genau so wie sie war, sondern eher vom Handlungsverlauf, vom Agieren der Akteure und von den Dialogen her. Später wurde es mir dann klar. Auch wenn ich Kriminalromane selten lese, so schaue ich mir doch sehr gerne Krimiserien im Fernsehen an (aber nur die amerikanischen) – und eben daran erinnerte mich das Buch. Ich hatte plötzlich die Bilder von hektischen Polizeistationen, bohrenden Anwaltsfragen vor einem Geschworenengericht und heulenden Sirenen vor Augen. Vertraut und fast immer ziemlich ähnlich. Sogar einige Charaktere aus „Morpheus“ ordnete ich während des Lesens bestimmten Seriendarstellern zu und schon befand ich mich in einem kriminalistischen Mix aus „Criminal Minds“ und „Law & Order: Special Victims Unit“.
Ab diesem Moment gab es dann auch keine weiteren Überraschungen mehr und die Auflösung hätte ich mir vermutlich denken können – wenn es ausreichend Anlass zum Mittüfteln gegeben hätte. Dazu fehlte es jedoch eindeutig an detektivischer Animation. So blutig und streckenweise spannend die Handlung auch war, so plätscherte sie doch lediglich vor sich hin, und als Leser war man weitgehend unbeteiligt. Nur in den Szenen, wo sich die Staatsanwältin mal wieder völlig widersinnig verhielt, kamen bei mir ein wenig Emotionen auf, denn ich ärgerte mich über ihr unlogisches Verhalten.
Allerdings gibt es zwei Punkte, die den Roman deutlich aufwerten: Zum einen beschreibt er – zumindest gehe ich davon aus – recht anschaulich die Arbeit an den amerikanischen Gerichten. Zum anderen behandelt er ein durchaus kontroverses, weil moralisch zweifelhaftes Thema. Schließlich erzählt die Autorin, selbst einmal stellvertretende Staatsanwältin, wie eine ihres Standes im Rahmen ihrer Arbeit etwas Ungesetzliches tut und damit auch noch durchkommt. Die Konflikte in C.J. werden angesichts dieses Wissens umso verständlicher. Doch stellt sich unmittelbar dann die Frage, ob solche fragwürdigen Vorgänge möglicherweise häufiger vorkommen, als man es gemeinhin glaubt. Fast gewinnt man den Eindruck, die Autorin wolle das Vergehen ihrer Protagonistin in gewisser Weise rechtfertigen. Schließlich ist ein Massenvergewaltiger nicht viel besser als ein Massenmörder – soll man wohl als Leser denken. Inzwischen ist auch der dritte Teil der Trilogie unter dem Titel „Argus“ erschienen. Vielleicht wird C.J. ja darin schließlich zur Rechenschaft gezogen – für einen Rechtsbruch, der ebenso nachvollziehbar, wie verständlich erscheint, aber ungeachtet dessen ungesetzlich ist.
Warum „Morpheus“, wie auch sein Vorgänger, zum Bestseller geworden ist, erschließt sich mir nicht so recht. Dennoch ist das Buch eine unterhaltsame und über weite Strecken spannende Lektüre, die besonders Freunden typisch amerikanischer Krimis gefallen dürfte. Vielleicht gibt es von dieser Art Leser ja doch mehr, als ich mir vorstellen kann. Der Schreibstil ist locker und unkompliziert und die Dialoge sind durchaus gelungen. Die Liebesgeschichte stört zwar ein wenig, aber sie nimmt auch nicht übermäßig viel Raum ein. Dass „Morpheus“ es kaum geschafft hat, mein Interesse am ersten oder dritten Teil zu wecken, heißt lediglich, dass mir die Handlung zu beliebig war. Alles hat man schon einmal in den zahllosen US-TV-Krimis gesehen. Fans des Genres werden allerdings sehr wahrscheinlich auf ihre Kosten kommen. Vielleicht sollten sie dann aber gleich mit dem ersten Teil „Cupido“ beginnen. Schaden kann es auf keinen Fall.