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Stephen King
Dolores
350 Seiten Monolog
An dieser Stelle sollte eigentlich das Cover des beschriebenen Buches abgebildet werden. Leider lässt dies unser deutsches Urheberrecht nicht zu. Daher müsst Ihr leider mit einem Symbolbild Vorlieb nehmen.

Dass Stephen King einer meiner Lieblingsautoren ist, habe ich bereits an anderer Stelle mehrfach erwähnt. Das bedeutet nicht, dass ich durchweg von seinem gesamten Werk begeistert bin. Doch seine Art zu schreiben, den Leser in den Bann zu ziehen und zu einem Teil der Geschichten zu machen, halte ich für große Kunst. In „Dolores“ gelingt ihm das sogar mit einem knapp 350 Seiten langen Monolog. Denn es ist Dolores Claiborne, die sich nach vielen Jahren, in denen sie ein schreckliches Geheimnis mit sich herumtrug, ihre Last von der Seele redet.

Da ich über den Autor Stephen King, den vermutlich ohnehin jeder kennt, an anderer Stelle bereits etwas geschrieben habe, gehe ich nicht weiter auf ihn ein. Nur soviel sei gesagt: Entgegen der irrigen Annahme vieler, King würde nur Horror-Romane schreiben, hat dieser Autor doch einiges mehr zu bieten. Und wenn „Dolores“ in gewisser Weise auch das eine oder andere Horror-Element enthält, so handelt das Buch nicht von Übersinnlichem, sondern vom Schrecken des Alltäglichen in einer Gesellschaft, die nur auf Äußerlichkeiten achtet. Den Rest, die Hintergründe für das Verhalten und die Reaktionen der Mitmenschen, legt man sich so zurecht, wie es gerade am Bequemsten erscheint.

Dolores ist fast 65 und hütet seit 30 Jahren ein schreckliches Geheimnis. Der Tod ihrer Arbeitgeberin Vera Donovan, für die sie während dieser Zeit als Haushaltshilfe gearbeitet hat, gibt schließlich den Anstoß, endlich allen Ballast loszuwerden. Also begibt sie sich in die kleine Polizeistation der Insel, auf der sie lebt, und erzählt dort ihre bewegte Lebensgeschichte. Der Leser erfährt, wie Dolores den Nichtsnutz und Säufer Joe St. George heiratet und wie er sie später immer wieder schlägt. Trotzdem bringt sie mit ihm drei Kinder zur Welt. Sie beschreibt, wie sie herausfindet, dass ihre Tochter Selena mit fünfzehn vom eigenen Vater sexuell bedrängt wird und wie sie Joe deswegen beinahe ungebracht hätte. Man wird Zeuge, wie Dolores von ihrer herrischen Arbeitgeberin Mrs. Donovan gedemütigt wird, und weshalb sie dennoch bis zum Tod der Frau bei ihr bleibt. Auf subtile Art und Weise bringt die reiche Chefin Dolores sogar dazu, den Versager Joe tatsächlich umzubringen. Doch damit ist ihr Leid längst nicht vorbei.

Es ist wie verhext: Kaum halte ich ein Buch von Stephen King in der Hand und lese die ersten Absätze, da schaltet mein Zeitgefühl völlig aus. Als ich mich entschloss, mir den Roman „Dolores“ vorzunehmen, war ich dennoch zunächst skeptisch. Aufgrund einiger Kritiken zur Verfilmung mit Kathy Bates und Jennifer Jason Leigh aus dem Jahre 1995 hatte ich schon ein wenig über die Inhalt erfahren (auch wenn ich den Film nie gesehen habe). Deshalb erwartete ich ein bleischweres und kaum verdauliches Familiendrama im Stile eines Kammerspiels. Diese Erwartung wurde durch die Tatsache noch um einiges bestärkt, dass die Geschichte in Form eines Monologs verfasst ist. Um es vorweg zu sagen: Die Handlung WAR bleischwer und mehr als dramatisch. Doch King wäre nicht King, wenn er es nicht schaffen würde, das Leben von Dolores Claiborne überaus fesselnd zu erzählen. Aber eigentlich erzählt ja Dolores selbst. Sie hat mit ihrem traurigen Dasein abgeschlossen und beschreibt dem Dorfpolizisten Andy freimütig jede Einzelheit ihres Lebens, einschließlich des Mordes am gewalttätigen Ehemann Joe St. George. Obwohl im Dorf getuschelt wird, sie habe auch Vera Donovan umgebracht, um an ihr Geld zu gelangen, lässt sie auch die Umstände des Todes der alten Dame nicht aus. Dabei ist ihr völlig egal, ob man ihr glaubt. Sie will nur endlich alles loswerden, um wieder ruhig schlafen zu können.

Buchkritik Mystery

Mit einer gehörigen Portion Schnodderschnauze, wie es sich für eine Haushälterin vom Lande gehört, schafft es King, die Erzählung von Dolores authentisch wirken zu lassen. Und doch sind viele der Gedanken, die sie im Laufe des Monologs äußert, tiefgründiger und philosophischer, als man sie einer so einfachen Frau zutrauen würde. Daher ist man sich als Leser manchmal nicht ganz sicher, ob man ihr diesen Tiefsinn wirklich abnimmt. Allerdings sind die Motive für ihr Handeln jederzeit nachvollziehbar: der Selbsterhaltungstrieb als Grundlage für unerschütterliche Mutterliebe. Selbst als sie spürt, dass ihre Tochter Selena sich innerlich von ihr abwendet, bleibt ihr einziger Lebensinhalt das Wohlergehen ihrer Kinder. Erst als sie sicher sein kann, dass sie als Erwachsene ihren Weg gefunden haben, findet sie den Mut zur Lebensbeichte.

Fazit

Mit „Dolores“ hat Stephen King ein spannendes und beklemmendes Kammerspiel mit einer teilweise recht drastischen Handlung geschrieben. Als Leser ist man jederzeit in der Lage, sich in die Gefühlswelt der Hauptakteurin hineinzuversetzen und ihre Motive nachzuvollziehen. Diese Authentizität sorgt dann auch dafür, dass man ständig wissen möchte, wie es weitergeht. An einigen Stellen konnte King zwar seine Horror-Wurzeln nicht ganz verhehlen, doch überwiegt eindeutig der psychologische Aspekt. Obwohl Dolores selbst ihre Lebensgeschichte erzählt, ist der Monolog keineswegs langweilig. Er funktioniert sogar als Erzählung aus der Ich-Perspektive sehr gut. Ob der Roman im klassischen Sinne unterhaltsam ist, wage ich zu bezweifeln. Dafür ist die Grundstimmung zu deprimierend, aber spannend ist das Buch allemal. Überbordende Action wäre hier ohnehin völlig fehl am Platze.

Action
2/5
Anspruch
3/5
Spannung
4/5
Suchtfaktor
4/5
Mein Urteil
4/5

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