Manchmal bin ich heilfroh, kein Literaturkritiker, sondern schlicht ein Leser mit eigener Meinung zu sein. Denn dann müsste ich „Gott segne Sie, Mr. Rosewater“ von Kurt Vonnegut vermutlich in den höchsten Tönen loben. Das jedoch fällt mir nicht nur schwer, sondern ist mir schlichtweg unmöglich. Doch von Anfang an…
Kurt Vonnegut ist ein amerikanischer Bestsellerautor, der den meisten vermutlich durch seinen surrealistischen Roman „Schlachthof 5“ bekannt sein dürfte. Auch wenn ich „Schlachthof 5“ zumindest als Verfilmung bereits kannte, ohne ihn allerdings jemals gesehen zu haben, hatte ich zu den Werken von Vonnegut nie eine Beziehung. Die von ihm behandelten Themen lagen fern meiner Interessenlage. Eines Tages allerdings erregte eine Lesung im Radio aus seinem Roman „Die Sirenen des Titan“, den der Autor 1959 geschrieben hatte, mein Interesse und ich kaufte mir dieses Buch. Da mich die schrille Science-Fiction-Geschichte sehr amüsiert hat, lag für mich die Schlussfolgerung nahe, das mir auch „Gott segne Sie, Mr. Rosewater“ gefallen könnte, zumal ich neben Fantasy und Science-Ficition auch der guten Gesellschaftssatire nicht abgeneigt bin. In freudiger Erwartung einer solchen, mit verrückten Ideen, Figuren und Handlungsverläufen – eben vom Stil der „Sirenen“ – machte ich mich ans Lesen…
Eliot Rosewater erbt ein riesiges Vermögen, das er als Geschäftsführer der Rosewater Stiftung verwaltet. So weit, so gut, wäre da nicht sein unbändiger Drang, den kleinen Menschen in seiner Umgebung zu helfen. Die Gemeinde Rosewater im Bezirk Rosewater (eine der wenigen absurden Ideen im Buch) wird geradezu überschwemmt mit Wohltat. Spenden an Kultur und Feuerwehr verstehen sich dabei von selbst. Doch damit nicht genug, auch die kleinen Unpässlichkeiten und Verschrobenheiten der Bürger schafft Rosewater oft einfach mit netten Worten, wenn das aber nicht hilft, eben auch mit Geld aus der Welt. Dieses Verhalten ist natürlich seiner Familie ein Dorn im Auge und sie lassen nichts unversucht, ihn als verrückt hinzustellen. Ihr Ziel: seine Entmündigung. Der kleine Jurist Norman Mushari sieht darin seine Chance für einen gehörigen Karriereschub gekommen und geht besonders hartnäckig ans Werk.
Mir fällt es beim Lesen eines Buches, ebenso wie beim Anschauen eines Films, schwer, einer Handlung zu folgen, die auf den ersten Blick keine ist. Vonnegut beschreibt in seinem Buch mehr oder weniger zusammenhängende Szenen, die vom Verhalten Eliot Rosewaters handeln. Dem roten Faden zu folgen, der letztendlich zur Schlussszene führt, fiel zumindest mir gehörig schwer. Das lag zum einen am bereits erwähnten, eigentlich nicht vorhandenen Handlungsverlauf, zum anderen aber auch an den vielfach unklaren Motiven der Akteure. Mir ist einfach nicht ganz klar geworden, ob der Rosewater-Anwalt McAllister in letzter Konsequenz Eliots Verhalten gut heißt oder nicht. Ähnlich ging es mir mit Eliots Vater, der seinem Sohn bei einem Besuch sogar ein gewisses Maß an Verständnis entgegen zu bringen scheint. Und Eliot, Träumer, Weltverbesserer und Gutmensch? Seine Motive sind sicherlich ehren- und begrüßenswert, aber die Umsetzung ist oft unlogisch, unklar und nicht selten auch völlig unverständlich. Lediglich zwei Hauptcharaktere kristallisierten sich deutlicher und vor allem nachvollziehbarer heraus. Der ehrgeizige Jurist Norman Mushari lässt keinen Zweifel aufkommen, dass er die vermeintliche Schwäche Eliots für seine Zwecke auszunutzen gedenkt. Und dann ist da noch Eliots Frau Sylvia, die ihn liebt und auch seine Beweggründe versteht. Doch sie hält der nervlichen Belastung nicht stand, beugt sich schließlich hin- und hergerissen dem Familiendiktat und verlässt ihn.
Als Leser fragte ich mich immer wieder, was den Menschen Eliot Rosewater antreibt und obwohl zwischen den Zeilen eine Menge an Hintergründen beschrieben und Erklärungen gegeben werden, kam ich der Figur nicht näher. Zurück bleibt eine Ratlosigkeit, die auch mit dem gelegentlich aufblitzenden Humor nicht verhindert werden konnte. Eine Gesellschaftssatire sollte Missstände durch humorvolle Überspitzung anprangern, doch das schlägt in meinen Augen hier völlig fehl. Die einzige wirkliche Überspitzung in der Geschichte ist die fast schon krankhafte Nächstenliebe Eliot Rosewaters. Doch kommt es an keiner Stelle zu einem Showdown, einer Auflösung, die einem das Gefühl gibt, das nun wieder alles richtig und normal ist. Statt dessen endet das Buch mit ein paar mehr oder weniger amüsanten Dialogen und einem letzten Aufbäumen der vermeintlichen Verrücktheit. Dann wird man als Leser mit der Erinnerung an eine Geschichte zurück gelassen, deren Halbwertzeit vermutlich keine sechs Monate betragen wird.
Gut, ich gebe zu, dass meine Skepsis dem Buch gegenüber im Laufe der Seiten mehr und mehr wuchs. Das lag vor allem daran, dass ich mit einer völlig anderen Erwartungshaltung an die Lektüre gegangen bin, einer Erwartung, die nicht einmal ansatzweise erfüllt wurde. Daher ist nicht auszuschließen, dass mir bestimmte Feinheiten und Dinge, die eher zwischen den Zeilen stehen, entgangen sind. Daher ist meine Kritik hochgradig subjektiv und würde sicherlich von den eingangs erwähnten Literaturkritikern in der Luft zerrissen.
In zahlreichen Vertriebstrainings, die ich in meinem Leben über mich ergehen lassen musste, gab es jedoch eine Aussage, die in leicht abgewandelter Form auch im Falle dieses Buches seine Entsprechung findet: „Es ist völlig unerheblich, wie etwas gemeint ist. Es zählt ausschließlich, wie es beim Leser ankommt.“ Bei mir ist „Gott segne Sie, Mr. Rosewater“ von Kurt Vonnegut leider nicht so gut angekommen. Dieses Buch ist etwas für Kritiker und Menschen mit einem feineren Gespür für Tiefsinn, als ich es vermutlich habe. Jenen, die eine weitgehend schlüssige und durchgängige Handlung bevorzugen, kann ich den Roman nicht empfehlen.