Marion Zimmer Bradley war die Grande Dame des Fantasy-Genres. Ihr Darkover-Zyklus hat eine riesige Fangemeinde und spricht vielfach die feminine Seite der Bevölkerung an. Mich hat damals, als ich das (chronologisch) erste Buch der Saga “Landung auf Darkover” las, besonders das Aufeinandertreffen von hochtechnologischer Zivilisation und einer mittelalterlichen Gesellschaft, in der verschiedene Formen von Telephatie (Laran genannt) selbstverständlich sind, interessiert. Die daraus resultierenden Konflikte spielen in dem von mir gelesenen Roman “Herrin der Falken” keine Rolle. Hier geht es vielmehr um die Rolle der Frau in einer von Männern dominierten Welt.
Über die 1930 in Albany, New York, geborene Autorin Marion Zimmer Bradley (gestorben 1999), oft auch kurz nur “MZB” genannt, gibt es zahlreiche Kommentare, Abhandlungen und Biographien. Daher sei an dieser Stelle lediglich noch einmal erwähnt, dass MZB neben des weltberühmten Darkover-Zyklus noch eine ganze Reihe weiterer Romane, Zyklen und Erzählungen verfasst hat, die sie insgesamt zu einer der aktivsten Schriftstellerinnen überhaupt machten. Wer mehr über die Autorin wissen möchte, findet bei Wikipedia einen ausführlichen Artikel.
Das Buch “Herrin der Falken” spielt chronologisch im Zeitalter des Chaos. Es ist die Zeit der großen Kriege etwa 1000 Jahre nach der Landung der menschlichen Siedler auf Darkover. Das 15-jährige Mädchen Romilly wächst als Tochter des reichen Gutsherrn McAran in behüteten Verhältnissen auf. Ihr Vater liebt seine Tochter über alles, ist jedoch gefangen in den fest strukturierten Formeln einer Gesellschaft, in der Männer nur Männerarbeit machen und Frauen sich wie Frauen zu geben haben. Deshalb stört es ihn auch, dass seine Tochter es schafft, einen wilden Falken zu zähmen – etwas, das sonst nur Männern gelingt. Doch Romilly hat eine besondere Form von Laran, eine Fähigkeit, die es ihr erlaubt, gedanklich mit Tieren zu kommunizieren. McAran hält von Laran überhaupt nichts und als er Romillys gezähmten Falken ihrem Bruder schenkt und sie auch noch dem schmierigen Sohn einer reichen Familie zur Frau verspricht, reißt das Mädchen aus. Es beginnt eine Odyssee, in deren Verlauf sich Romilly, als junger Falkner verkleidet, einer Gruppe von Anhängern des gestürzten Königs Carolin anschließt. Als sie schließlich als Frau enttarnt wird, hilft ihr die Fähigkeit, mit wilden Tieren zu kommunizieren, Akzeptanz in der Männerwelt zu erlangen. Doch bringt sie sich dadurch auch in Lebensgefahr.
Wieder hat MZB sich mit einem Thema befasst, das heute aktueller denn je ist: Die Frau in einer von Männern dominierten Welt. Verpackt in eine Fantasy-Geschichte, beschreibt sie den Freiheitskampf eines jungen Mädchens, das es Leid ist, vorgefertigten Normen zu entsprechen. Sie wird zur Rebellin, muß aber auch bald schmerzhaft feststellen, dass gleiches Recht auch gleiches Leid mit sich bringen kann – bis hin zu dem Punkt, dass sich die junge Frau gar wünscht, doch den von Männern vorgezeichnet Weg eingeschlagen zu haben. Am Ende steht ein Kompromiss, der aus der Feder von MZB geradezu versöhnlich wirkt. Doch bis zu diesem Punkt hat der Leser es zunächst etwas schwer. Mit viel Gedankenwelt und Leidensschmerz beschreibt die Autorin in der ersten Hälfte des Buches, wie Romilly gegen ihren herrischen Vater, die Umgangsformen am Hof und ihren inneren Zwiespalt zwischen Pflicht und Aufruhr ankämpft. Erst als es zum Bruch mit ihrem Vater und zur nächtlichen Flucht aus der Heimat kommt, nimmt die Handlung wirklich Fahrt auf.
Die Abenteuer als vermeintlich männlicher Falkner von Dom Carlo und seinen Mannen und die sich daraus ergebenden Verwicklungen und überraschenden Wendungen sind dann durchaus unterhaltsam und spannend. Dabei verliert MZB allerdings nie ihr ganz offensichtliches Anliegen aus den Augen, nämlich den Konflikt zu beschreiben, in dem sich eine selbständige und freiheitsliebende Frau in einer männerdominierten Gesellschaft befindet. Manchmal wirkt dabei das Zusammenspiel von Romillys Gedanken und der Situation, in der sie sich gerade befindet, allzu plakativ. Je düsterer das beschrieben Szenario, desto trübsinniger und pessimistischer ist auch das Mädchen. Als Leser hat man, wenn auch unbewusst, dieses Konzept schnell durchschaut und man ahnt oft schon, was als nächstes kommt. Doch gelingt es der Autorin zumindest in der zweiten Hälfte des Romans durchaus, den Leser zu fesseln und bei der Stange zu halten. Das Ende, das hier natürlich nicht verraten werden soll, wirkt allerdings ganz so, als habe MZB plötzlich Bedenken bekommen, ja als wolle sie die allzu heftige Kritik am Patriarchat gar durch versöhnliche Töne relativieren.
Mit dem Buch “Herrin der Falken” bleibt Marion Zimmer Bradley ihrem Stil treu, der die Frau in den Mittelpunkt stellt und dabei emanzipatorische Missstände deutlich macht. Das Darkover-Universum dient hier lediglich als Rahmen und spielt, mit Ausnahme des allgegenwärtigen Larans, kaum eine Rolle für die Handlung. Sie hätte ebenso gut am Hof von König Artus spielen können. Im Vergleich zu anderen Darkover-Romanen schlägt “Herrin der Falken” allerdings deutlich gemäßigtere Töne an. Als Mann fühlt man sich daher weniger “schuldig” und angegriffen. Der gehobene Zeigefinger, der manchmal bei den MZB-Geschichten durchklingt, bleibt aus. Trotz des trägen Anfangs lässt sich das Buch gut lesen und birgt mehr Spannung als vergleichbare Bücher der Autorin. Die Beschreibungen sind lebhaft und man kann sich gut in die Szenerie und die Handlung hinein denken. In den zahlreichen Schilderungen der Gefühlswelt von Romilly wurde jedoch stellenweise etwas zu plakativ auf die Emotionen abgezielt und manchmal ist die Protagonistin geradezu ärgerlich uneinsichtig. Insgesamt ist der Roman über ein Mädchen in einer mittelalterlichen Welt gut lesbar und, obwohl zeitweise recht düster, unterhaltsam. Etwas mehr Handlung und etwas weniger Gefühlsdarstellung hätten aber gut getan.