Scroll Top
Meine ganz persönliche Sicht auf die Piraten
Arroganz als Deckmantel der Angst

“Einen belächeln, das ist die humorlose Form der Arroganz.” Diese Worte von Gerhard Uhlenbrock beschreiben vortrefflich das derzeitige Verhalten unserer Politikerriege, das man quer durch die gesamte altehrwürdige Parteienlandschaft beobachten kann (Beispiel: Interview mit Andrea Nahles). Und auch wenn die Damen und Herren es nie zugeben würden, das herablassende Belächeln soll vor allem eines: die Unsicherheit, wenn nicht gar Angst vor einem neuen vermeintlichen Gegner überdecken. Doch Kurt Beck, Hans-Peter Uhl und selbst Cem Özdemir, um nur eine kleine repräsentative Auswahl zu nennen, haben in zahlreichen Interviews, Talkshows und Reden vor Bundestag und Bundesrat diese Angst nicht zu überdecken vermocht. Der aufmerksame Zuhörer hat sie zwischen den Zeilen deutlich herauslesen können. Wenn Kurt Beck in einer Talkshow keine andere Verteidigung mehr vorzubringen weiß, als in einer aufbrausenden und an die Zurechtweisung eines Schülers durch einen Lehrer erinnernde Beschimpfung seine eigene Leistung und Arbeitsüberlastung zu betonen, ist dies ein mehr als deutliches Zeichen.

Doch wer ist dieser neue Gegner, der es schafft, die Beherrschung sowohl der Regierenden als auch Möchtegern-Regierenden auf eine derart harte Probe zu stellen? Es sind Menschen, die auf den ersten konservativen Blick hervorragend in eine Schublade zu packen sind: Nerds, Freaks, Hacker, in den 60er und 70er Jahren hätte man vermutlich Hippies dazu gesagt. Junge Menschen also, die kaum Lebenserfahrung besitzen, etwas weltfremd sind und die von Politik schon einmal gar nichts verstehen. Soweit das Klischee. Leider hat diese Perspektive einen kleinen Haken, und das spüren auch Merkel, Gabriel, Roth und Lötsch samt Anhängerschaft: Der neue Feind kann argumentieren, strahlt eine in der Politik selten gewordene, durchaus aber auch makelbehaftete Ehrlichkeit aus und kommt mit dieser Ausstrahlung bei einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung auch noch gut an.

Doch anstatt sich dieser Situation zu stellen, eine selbstkritische Reflektion des eigenen Verhaltens jetzt und in der Vergangenheit vorzunehmen und daraus die richtige Schlüsse zu ziehen, verfallen CDU/CSU, SPD, Grüne und Linke abwechseln in Beißreflex oder überhebliche Arroganz und merken dabei nicht einmal, dass sie sich damit noch mehr von ihren Wählern, selbst aus ihren eigenen Parteien, entfernen. Denn dieses Wahlvolk ist, welch Überraschung, mündig genug, sich nicht von den Oberen vorschreiben zu lassen, wen sie zu wählen haben. Die Wähler sind vielfach gut informiert und können mit arrogantem Gehabe genauso wenig anfangen, wie mit aggressiver Polemik. Dies und eine ganze Reihe falscher Entscheidungen zu Gunsten von Industrieinteressen auf Kosten der normalen Bürger haben dann auch in Berlin und dem Saarland dazu geführt, dass eine regelrechte Abwanderungsbewegung weg von etablierten Parteien hin zu der neuen Kraft stattgefunden hat.

Doch nun sei das neue Politikkind, der Feind und Gegner der etablierten Parteien endlich beim ironischen Namen genannt: Piratenpartei!

Piratenpartei – Ein Name voller Ironie und Programm

Piratenpartei? Kann man in unserer akademisch geprägten Politiklandschaft denn so eine politische Bewegung nennen? Wir sind doch kein Kindergarten, in dem man Räuber und Gendarm spielt! Ja, man kann. Denn der Name macht eines ganz deutlich: Die Mitglieder wollen anders sein, neue Wege gehen, sich vom sogenannten Establishment abheben. Sie suchen nach Lösungen für die gesellschaftlichen Probleme, fern ab der ausgetretenen und doch nur in eine Richtung führenden Routen. Sie sind unbequem (zumindest für die konservativen Kräfte), gegen den Strich gekämmt und sie sind schnell genug, neue Trends, Technologien und Entwicklungen umgehend zu erkennen und darauf zu reagieren.

Doch was ist es, was die Piraten so von der übrigen Parteien unterscheidet? Bei dieser Frage fallen mir eine Fülle von Argumenten ein und ich laufe Gefahr das eine oder andere zu vergessen, aber wollen wir doch mal sehen…

Da wäre zunächst einmal eine ausgeprägte Ehrlichkeit. Diese Ehrlichkeit spiegelt sich insbesondere darin wider, dass die Vertreter der Piraten neben einer klaren und verständlichen Sprache vor allem reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, ohne sich allerdings in Plattheiten, Allgemeinplätzen oder Polemik zu verlieren. Wo eine Angela Merkel jedes Wort in ein unnatürliches, hochkompliziertes Wortwirrwarr verpackt, damit einerseits die Political Correctness gewahrt bleibt, sie zum anderen aber später im Notfall sagen kann, es genau anders gemeint zu haben, kann man die Piraten selbst als ein mit Worten nicht so gewandter Mensch gut verstehen.

Als nächstes wäre das hohe Maß an Natürlichkeit zu nennen. Piraten sind sie selbst. Sie betreiben keine Imagepflege, die sie in einem besonders positiven Licht erscheinen lässt, haben keine PR-Berater und verhalten sich nicht, wie ferngesteuerte Roboter. Sie haben es nicht nötig, sich Gestik, Mimik oder ein Verhalten antrainieren zu lassen, nur um bestimmte Normen zu erfüllen. Sie geben sich so wie sie sind, mit allen Makeln, Fehlern, schlechten Frisuren und schlabberigen Klamotten, und das macht sie so sympathisch und authentisch.

Zu diesen sicherlich nicht unbedingt ausschlaggebenden, aber dennoch nicht unwichtigen Punkten kommt das Programm. Ja, auch wenn es immer wieder anders lautende Aussagen in den Medien gibt, die Piraten haben ein Programm. Um dann gleich noch einen darauf zu setzen: Es ist ein Programm, dass NICHT nur die Urheberrechtsdebatte betrifft, ein Thema übrigens, bei dem die Piraten stets Kritik von Seiten einstecken müssen, die sich mit deren Forderungen nur sehr oberflächlich befasst haben. Daher will ich es hier auch noch einmal betonen: Die Piraten wollen weder das Urheberrecht abschaffen, noch alles kostenlos haben. Sie fordern eine Modernisierung des Urheberrechts, die insbesondere eine Stärkung der tatsächlichen Urheber zur Folge hat. Ja, liebe Content Industrie, Euer Geldbeutel wird dadurch möglicherweise etwas weniger, aber auf jeden Fall angemessener gefüllt. Vielleicht ist das auch die späte Rache des Konsumenten (Kunden!), der es Leid ist, permanent auf eine Stufe mit Kinderschändern und Mördern gestellt zu werden, weil er sich von seinem Nachbarn eine CD kopiert hat (man möge mir diesen kurzen polemischen Ausrutscher verzeihen).

Ansonsten hat das Programm einiges zu bieten, das vor allem eines ist: menschlich! Der Mensch steht bei allem im Mittelpunkt. Freiheit, Bürgerrechte, Selbstverwirklichung, Bildung, also Themen, die sich auch die etablierten Parteien auf die Fahne geschrieben haben, die aber von selbigen zunehmend mit Füßen getreten werden, spielen im Piratenprogramm eine entscheidende Rolle. Warum sowohl Schwarz-Gelb, als auch die große Koalition, als auch Rot-Grün diesen Themen so wenig Bedeutung bemessen bzw. beigemessen haben ist klar: Das würde ja auf Kosten der Industrie geschehen und da haben die Lobbyverbände genügend Argumente, einer Regierung den Weg zu weisen – und wenn sonst nichts hilft, das Reizwort „Arbeitsplätze“ funktioniert fast immer.

Und jetzt ganz persönlich…

Warum schreibe ich das alles? Wird vermutlich doch niemand lesen! Ja, das mag sein. Für mich ist es aber ein Akt der Selbsterkenntnis. Seit Monaten beobachte ich die Piraten, war auch schon beim Stammtisch des hiesigen Kreisverbandes. Selbst nachdem mich dieses Zusammentreffen eher ernüchtert hat, habe ich die Aktivitäten und Erfolge in der Bundes- und Landespolitik weiterhin mit Interesse verfolgt, Facebook, Twitter und Google+ als Quelle für weitergehende Informationen genutzt und mir versucht daraus ein Urteil zu bilden. Für mich gipfelte dieses ausgiebige Befassen mit einer politischen Bewegung in einer verblüffenden, in meinem Leben einmaligen Erkenntnis.

Piratenpartei
Foto: Christopher Schirner – CC BY-SA 2.0

Zum ersten mal in meinen fast 50 Lebensjahren denke ich darüber nach, einer Partei beizutreten. Mein politisches Interesse hat eigentlich schon Tradition und vor fast 15 Jahren habe ich gar als Parteiloser für ein kommunales Amt kandidiert (ohne dass ich allerdings gewählt worden wäre). Doch in einem Punkt war ich mir immer sicher: Ich werde niemals, ich betone NIEMALS, in eine Partei eintreten! Und nun das…

Was war geschehen? Politik war für mich bisher immer eine Ansammlung fauler Kompromisse, geschlossen von Menschen, die jeglichen Bezug zu den normalen Bürgern längst verloren haben und die diesen Menschen dann versuchen, ihre Entscheidungen durch blumige, aber völlig nichtssagende Worte bis hin zu Lügen positiv zu verkaufen. Spätestens seit einer jahrelangen Hartz-IV-Odyssee, die ich persönlich durchzumachen das zweifelhafte Vergnügen hatte, glaube ich Politikern kein Wort mehr. Das Verhalten der Politikelite gegenüber unserer Verfassung (erst mal abhören und dann schauen, ob es überhaupt verfassungskonform ist), dem normalen Bürger (Generalverdacht dank Vorratsdatenspeicherung) und das völlig unnatürliche, gestelzte und roboterhafte Auftreten bekräftigten mich nur noch in meiner Ablehnung. Nein, es war nicht Politikverdrossenheit im Sinne von „Ist mir doch egal, was die da machen“, sondern vielmehr eine Abneigung gegen diesen arroganten Zirkel, der sich Regierung nennt. Und da ich den rechten Rand politischer Ansichten mehr als verachte und dem linken keinerlei Sympathie entgegen bringe, hing ich über viele Jahre in der Luft. Der gesunde Menschenverstand, Frau und Kinder und die kleine Welt meines Dorfes, steuerten meine Ansichten und Entscheidungen.

Die Piraten in Zeiten des Frusts

Bis dann eines Tages ein Pflänzchen namens Piraten auftauchte, die ich anfangs zwar mit einem gewissen Maß an Interesse, aber tatsächlich noch ein wenig amüsiert wahrnahm. Da waren plötzlich Menschen, die natürlich und ehrlich über das sprachen, was sie bedrückte und wo sie Möglichkeiten sehen, dies zu ändern, Menschen, die nicht so aussahen, als sei ihnen ihre Karriere wichtiger, als die Sorgen der Bürger. Den vorläufigen Höhepunkt in meiner Meinungsfindung bildeten die Angst einflößenden Aktivitäten unserer Volksvertreter, die völlig vergessen zu haben scheinen, wen sie da eigentlich zu vertreten haben. ACTA, SOPA, PIPA, Vorratsdatenspeicherung, Fluggastdaten-Abkommen und LRS. Diese Vertragswerke sind in meinen Auge allesamt dazu geeignet, die Freiheit der Bürger einzuschränken und unkontrollierbaren Kräften (Industrie, Content Mafia, USA) auszusetzen. Mir ist bewusst, dass dies etwas polemisch klingt, aber genau so kommt es bei mir und bei vielen in unserer Bevölkerung an. Die Tatsche, dass einige dieser Vereinbarungen im stillen Kämmerlein entstanden sind und die Verantwortlichen keine ehrlichen bzw. glaubwürdigen Aussagen über die tatsächlichen Beweggründe für den Abschluss dieser Verträge vorbringen, sorgt zusammen mit den vermutlich berechtigten Befürchtungen zu einer breiten Ablehnung.

Auch die Piraten lehnen diese kranken Auswüchse globaler Überwachungsmechanismen rundweg ab, und das alleine war für mich schon ein Grund, dieses Pflänzchen, das sich inzwischen durch den Erfolg in Berlin zu einer bereits recht kräftigen Pflanze entwickelt hat, intensiver zu betrachten. Allerdings gibt es auch Programminhalte und Vorgehensweisen, mit denen ich so meine Probleme habe. Hierzu zählt unter anderem die Diskussionskultur. Lässt sich die transparente Entscheidungsfindung, bei der jeder mitreden kann auch dann durchziehen, wenn schnelle Entscheidungen geboten sind? Werden Parteitage zukünftig geordneter ablaufen, als es der von 2011 nach außen vermittelte? Werden sich nicht durch die übergreifende Transparenz automatisch Flügel bilden, so dass es zu ähnlichen Auseinandersetzungen kommt, wie damals bei den Grünen? Der Programmpunkt des bedingungslosen Grundeinkommens, das immer wieder ins Gespräch gebracht wird, halte ich für gewagt und aus jetziger Sicht nicht finanzierbar – nicht mit den Schuldenbergen, die unsere bisherigen Regierungen angehäuft haben.

Dennoch, auch wenn ich zur Zeit der Meinung bin, dass die Piraten keineswegs regierungsfähig sind, so sehe ich zumindest das Potenzial, den etablierten Politikerkreisen soviel Angst einzujagen, dass diese sich endlich mal intensiver mit den Themen befassen, die den Piraten die Wähler zutreiben. Und vielleicht kommt es ja zu einem Umdenken, wie es in den 80er Jahren die damals noch unkonventionellen, heute leider nur noch angepassten Grünen verursacht haben.

Noch bin ich nicht so weit, den Schritt zu einer Mitgliedschaft bei den Piraten zu gehen, doch Regierung und Opposition tun gerade ihr Bestes, mir den Entschluss zu erleichtern. Spätestens wenn ACTA kommt, SLS bei der Vorratsdatenspeicherung einknickt und das LSR den ursprünglichen Zweck des offenen Internets konterkariert, besteht an der Daseinsberechtigung einer Piratenpartei für mich kein Zweifel mehr, und dann werde ich nicht nur Mitglied, sondern ich werde mich aktiv einbringen – sofern meine Hilfe gewünscht wird. Denn ich will meinen beiden Söhnen den Überwachungsstaat ersparen.

Ich habe im Moment erheblich mehr Angst vor den die Freiheit beschneidenden Ambitionen unserer Regierung als vor islamistischem Terror.

Deine Nachricht

Cookie-Information
When you visit our website, it may store information through your browser from specific services, usually in form of cookies. Here you can change your privacy preferences. Please note that blocking some types of cookies may impact your experience on our website and the services we offer.