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Workoholics und Karrieristen
- oder einfach Menschen
Die Sache mit den Idealvorstellungen

Irgendwie kann ich es nicht lassen. Ich versuche es immer wieder und immer wieder komme ich spät abends mit einer Mischung aus Ernüchterung und Frust, aber auch einer Spur von Verständnis vom Stammtisch der Piratenpartei wieder nach Hause. Doch diese Spur reicht einfach nicht aus.

Es ist aber auch wie verhext mit den eigenen Vorstellungen, die sich zum Teil selbstständig entwickeln und im Kopf festsetzen. Wenn man sich etwas intensiv wünscht, kann man manchmal gar nicht verhindern, dass sich dort ein idealisiertes, fast schon heroisierendes Bild entwickelt. Die Frage nach dem Warum kann ich, wenn ich ehrlich bin, nur sehr schwammig beantworten: Eigentlich ist es ein Bauchgefühl. Das Programm der Piraten entspricht in vielen Punkten meiner Lebenseinstellung. Die Aussagen der führenden Köpfe, die ich intensiv in den sozialen Netzwerken verfolge, erscheinen mir meist vernünftig und kommen in der Regel sympathisch und ehrlich rüber. Das Ziel, einen neuen ehrlichen Politikstil hoffähig zu machen, unterstütze ich von ganzem Herzen.

Und doch falle ich nach dem Besuch des regionalen Stammtisches immer in ein Loch, das mich an allem zweifeln lässt. Auf der Heimfahrt vom Stammtisch gestern habe ich diesen Euphorieabschwung dann auch mal gründlich durchdacht und bin zu der Erkenntnis gelangt, dass ich zwar reif für die Piraten bin, aber nicht mehr den Nerv habe, mich mit den Profilneurosen von Workoholics und Karrieristen herumzuschlagen. Ja, auch wenn immer das Gegenteil behauptet wird, diese beiden Menschengruppen sind, von den einen mehr, von den anderen weniger, auch bei den Piraten anzutreffen.

Gegen Workoholics ist prinzipiell nichts einzuwenden, wenn sie nicht permanent direkt oder indirekt wie ein Schild vor sich hertragen würden, wie viel sie doch tun, in welchen Ausschüssen und AGs sie doch so tätig sind und wie unglaublich engagiert sie die Piratensache vertreten. Ich finde das toll und bewunderswert, denn solche Leute braucht eine junge Partei, doch es geht doch nicht darum, wieviel jemand tut, und vor allem geht es nicht um die Person. Selbstbeweihräucherung bringt die Partei ihrem Ziel kein Stück weiter. Wichtig ist einzig und allein, DASS etwas getan wird. Von wem und mit welchem Arbeitseinsatz ist dabei völlig unerheblich. Dies ist ein Punkt, den auch die Piratenpartei immer wieder betont. Die Erwähnung der eigenen Leistungen dient somit also lediglich der Pflege des eigenen Egos – ich weiß, ein nur allzu menschlicher Zug, dem auch ich mich nicht immer entziehen kann.

Die negative Steigerung des Workoholics ist dann der Karrierist (ein Begriff, den ich bewusst erstmals in den Diskussionen der Piratenpartei wahrgenommen habe). Denn Menschen, die nur darauf bedacht sind, öffentlichkeitswirksam ihre Person in den Mittelpunkt zu rücken und dies durch entsprechende Positionen in der Partei zu untermauern versuchen, widersprechen dem Grundgedanken der Piraten. Leider lässt sich kaum vermeiden, dass gerade in Zeiten des Hypes – und in einer solchen Zeit befinden sich die Piraten gerade – die temporären Führungskräfte in den Fokus der Presse geraten, doch sollten diese Personen sich ehrlich in Bescheidenheit üben und nicht noch Öl ins Feuer gießen, indem sie die Nähe der Presse bewusst suchen und sich unnatürlich und gekünstelt geben. Imageberater haben die großen Parteien zu Hauf, die Piraten hingegen haben ihr Programm. Wenn sie das ehrlich und natürlich vermitteln, treffen sie den Nerv des normalen Bürgers viel mehr, als jeder durchgestylte politische Vertreter.

Zurück zum Stammtischtief. Im Laufe des gestrigen Abends sind mir gleich mehrere Dinge klar geworden – mal ganz abgesehen von der Diskrepanz zwischen meiner Idealvorstellung der Piraten und dem realen Parteileben, wie es sich im Laufe der Gespräche offenbarte.

Piratenpartei
Foto: Huhnbeauftragter – CC BY-SA 2.0
  • Es gibt bei den Piraten Karrieristen. Das zumindest konnte ich den Diskussionen entnehmen, und dieser Punkt war für mich auch nachvollziehbar.
  • Ebenso gibt es Workoholics.
  • Und es gibt Workoholics, die sich über die Karrieristen aufregen, gleichzeitig aber damit prahlen, wieviel unzählige Aufgaben sie übernommen haben, welche leitende Funktion sie im Job besetzen und dass sie ja eigentlich kein Amt in der Partei anstreben. Irgendwie hat sich mir aber der Eindruck aufgedrängt, dass sie ihre Selbstbestätigung allerdings doch daran messen, wie oft sie gefragt werden, ob sie nicht ein Amt übernehmen wollen.
  • Und die für mich entscheidende Erkenntnis: Auf diese letzte Gruppe reagiere ich zunehmend allergisch.

Fachlich zwar durchaus im Thema, rethorisch absolut vorzeigbar und auch menschlich durchaus nicht umsympathisch, erzeugen sie dennoch bei mir eine gewisse Abneigung, da ich mir in ihrer Gegenwart grundsätzlich degradiert vorkomme. Ich wäre nicht einmal ansatzweise in der Lage, ein solches Engagement in eine Sache zu stecken, da ich mit dem Management meines eigenen Lebens zur Zeit mehr als genug zu tun habe. Diesen Makel trüge ich in Gegenwart der Workoholics ständig vor mir her. Er träfe auf die Omnipräsenz des Arbeitseifrigen und dessen Plakat: Seht her, ich halte alles am Laufen.

Aufgrund dieser ganz persönlichen und sicherlich auch meines halben Jahrhunderts Lebenserfahrung geschuldeten Erkenntnisse ergeben sich für mich aus dem gestrigen Stammtisch daher ganz klar folgende Schlussfolgerungen:

Auch in der Piratenpartei arbeiten nur Menschen – mit all ihren Eitelkeiten und Egos, die befriedigt werden möchten.

Ich werde nie ernsthaft mitarbeiten können (so gerne ich das wollte), da mir zum einen die notwendige Zeit, aber auch die Geduld zur Auseinandersetzung mit Workoholics und Karrieristen fehlt.

Und: Ich bin noch immer nicht soweit, den Piraten beizutreten – der Abstand zwischen meiner Idealvorstellung und der Realität ist einfach noch zu groß.

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