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BTW2013: Ich habe Piraten gewählt...
...das kleinste Übel aller Zeiten
Noch peinlich berührt…

Gestern habe ich sie wieder gehört, die Frage: “Na, was wählst Du?”. Und wieder schoss mir eine leichte, kaum erkennbare Verlegenheitsröte in die Wangen, als ich zunächst ausweichend antwortete: “Ich habe schon gewählt. Briefwahl!” Natürlich beantwortete das nicht die Frage, aber ich hoffte, mein Gegenüber würde sich damit zufrieden geben – was er selbstverständlich nicht tat. Also musste ich raus mit der Sprache: “Ich habe die Piraten gewählt.” Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, trat in das Gesicht meines Gesprächspartners eine kaum verholene Mischung aus Herablassung, Unverständnis, Spott und Zweifel. “Echt?”, war alles, was er noch laut erwiderte, doch sprach der darauf folgende, plötzliche Themenwechsel auf meinen bevorstehenden Urlaub Bände. Denn hinter seiner Stirn arbeitete es weiter. Ich hingegen war froh darüber, dass er nicht auch noch nach dem “Warum” gefragt hat und erläuterte ihm statt dessen mit Freuden meine Urlaubspläne.

…dann die Ursache gefunden…

Ja, ich habe Piraten gewählt! Und doch stehe ich noch immer nicht voll hinter dieser Entscheidung. Wieso eigentlich? In einer ruhigen Minute habe ich einmal versucht, mir darüber klar zu werden und bin zu einem zunächst frustrierenden Ergebnis gelangt: Etwas mit voller Überzeugung und aus ganzem Herzen zu vertreten entspricht nicht meiner Natur. Ich suche stets das Haar in der Suppe und kann mit Kompromissen nur schwer leben. Je mittelmäßiger ich selbst in allem bin, desto mehr Professionalität verlange ich von den Profis – und dazu zähle ich vor allem diejenigen, die unsere Geschicke lenken sollen. Doch wie passt Professionalität zu einer Partei, die aus unzähligen Fachleuten besteht, die jedoch nicht den Hauch von politischer Erfahrung besitzen. Es passt dann, wenn man sich von althergebrachten Denkmustern à la “Kleider machen Leute” verabschiedet und die reine Arbeit betrachtet. An diesem Punkt bin ich jedoch noch nicht ganz angelangt. Die meiste Zeit meiner bald 51 Lenze gab es für mich nur eine handvoll Parteien, die sich im Grunde kaum voneinander unterschieden. Eine Wahl war immer die Wahl des kleinsten Übels. Anfangs SPD, bis sie mich in Hartz IV getrieben haben, dann Die Grünen, bis sie Kriegseinsätze mitgetragen haben und dann…? Selbstauferlegte Wahlpflicht, mehr nicht! Parteien unter der Rubrik “Sonstiges” habe ich mir nicht einmal angeschaut. Doch plötzlich ist da eine Bewegung, deren Ansichten sich in vielen Punkten mit den meinen decken. Als computeraffiner Verfechter von Creative Commons und Open Source und als Gegner von GEMA und GEZ trafen sie bei mir einen Nerv, der sofort ansprang. Im direkten Vergleich zu den sogenannten etablierten Parteien hatten sie zudem einen weiteren gewaltigen Vorteil: Sie wirkten ehrlich und ungekünstelt. Sie spielten mit offenen Karten – wenn auch leider etwas zu offen. Denn hier brach dann plötzlich wieder meine konservative Erziehung durch. Wirkten CDU/SPD/FDP immer wie Roboter, deren Mimik, Gestik und Wortwahl bis ins letzte Detail einstudiert und somit völlig unnatürlich/unaufrichtig erschienen, herrschte bei den Piraten das nackte Chaos. Öffentliche Selbstzerfleischung, unendliche Diskussionen über teilweise absolut bescheuerte Themen und das völlige Fehlen von Kompetenz im Umgang mit den alles beherrschenden Medien ließen meine Zuneigung schnell sinken. Irgendwie erwartete ich tief in mir wohl die gewohnte Konformität. Unbewusst wollte ich Schablonen füllen, in die die Piraten nicht passten. Erneut stand ich vor der Frage, ob es das denn sein konnte. Offensichtlich dachte aber nicht nur ich so, denn auch in der öffentlichen Gunst stürzten die Piraten schnell wieder ab, so dass meine Stimme bei den Landtagswahlen in Niedersachen im 2,2%-Nichts versanken.

Piraten BTW 2013
Foto: Piratenpartei Deutschland – CC BY-SA 2.0
…die Gründe manifestiert…

Und doch habe ich es wieder getan! Ich habe Piraten gewählt! Ja, auch wenn es möglicherweise zur Bundestagswahl 2013 wieder ein Flop wird, so konnte ich nicht eine einzige Partei finden, die als kleineres Übel besser herhalten könnte, als die Piraten. Wie eingangs erwähnt, fehlt es mir meist an echter Überzeugung, aber die Piraten sind für mich im Augenblick das kleinste Übel, dem ich je meine Stimme gegeben habe. Ihr könnt mir glauben, ich habe dieses Mal Parteiprogramme rauf und runter gelesen. Selbst die teilweise völlig dusseligen Sonstige-Parteien habe ich studiert, doch das Ergebnis blieb stets das gleiche – was mir übrigens auch die unzähligen digitalen Entscheidungshilfen im Internet (z.B. Wahl-O-Mat) bestätigten. Ob auf ihrem klassischen Terrain Internet, der Bildungspolitik oder der Ausländer- und Sozialpolitik, die Piraten vertreten, was ich auch schon vor ihnen vertreten habe, zu dem ich aber nie eine Entsprechung in der Parteienlandschaft gefunden habe. Warum also sollte ich mich mit weniger zufrieden geben?

…und schließlich für eine gute Sache umgesetzt

Ich habe Piraten gewählt! Und wenn ich mit dieser Wahl, dem derzeit kleinsten aller möglichen Übel, dafür sorge, dass diese Partei weiterhin besteht, weiterhin die Finger in lange vernachlässigte Wunden legt und das maßlos verkrustete und industriehörige Politiksystem aufmischt, dann hat mein Kreuz bereits etwas bewirkt. Ich will endlich, dass der Mensch wieder im Vordergrund steht und nicht irgendwelche wirtschaftlichen Interessen. Das ist aber nur zu schaffen, wenn es im Bundestag neue Impulse gibt. In den 80ern waren es Die Grünen, die diese Impulse im Hinblick auf die Umweltpolitik gesetzt haben. Auch wenn sie heute nur noch ein angepasster Schatten ihrer selbst sind, so haben sie doch einen deutlich Beitrag zur Politik geleistet. Die Piraten habe die Netzpolitik bereits zu einem breit diskutierten Thema gemacht. Wenn sie erst einmal im Bundestag sind, ist da noch deutlich mehr drin – und dabei möchte ich helfen. Meine konservativen Wurzeln müssen dazu dann leider mal zurückstecken.

Ach ja, noch eines: Ich bin gegen die Piraten in jeglicher, wie auch immer gearteten Regierungsverantwortung. Damit wären sie gezwungen sich selbst zu verraten. Bestes Beispiel sind Die Grünen. Kompromisslosere Politik ist nur in der Opposition möglich.

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