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John Grisham
Das Testament
Die zwei Herzen eines John Grisham
An dieser Stelle sollte eigentlich das Cover des beschriebenen Buches abgebildet werden. Leider lässt dies unser deutsches Urheberrecht nicht zu. Daher müsst Ihr leider mit einem Symbolbild Vorlieb nehmen.

Hypes! Immer und überall wird man von ihnen bedrängt, sie nerven und sind oftmals nicht einmal annähernd die Aufmerksamkeit wert, die sie erhalten. Denn in vielen Fällen sind Hypes nichts weiter als geschickte Werbekampagnen, die einem Produkt einen Kultstatus oder ein positives Image verpassen sollen. Das Ziel? Umsatz!

Auch die Bücher von John Grisham wurden von den Medien besonders in den 90er Jahren hoch gefeiert und erfuhren dadurch ungeahnte Beachtung. Daher hat es eine beträchtliche Weile gedauert, bis ich mich mit einem Werk dieses Autors auseinandersetzte – denn ich mag Hypes ganz und gar nicht. Meine Wahl fiel auf „Das Testament“ aus dem Jahr 1999. Ob es ein typischer Grisham ist, kann ich noch nicht sagen, da mir die Vergleichsmöglichkeiten fehlen, aber zumindest hat es meine (wegen des Hypes) voreingenommene Meinung gegen ihn etwas geändert.

Ein Anwalt, der bei seinem Thema bleibt

Der 1955 in Jonesboro, Arkansas geborene John Grisham schreibt, wovon er etwas versteht. Denn seit Abschluss seines Jurastudiums im Jahre 1981 praktizierte er zehn Jahre lang aktiv als Strafverteidiger. Und so ist sein bevorzugtes Genre auch der Justiz-Thriller. Schon während seiner Zeit als Verteidiger begann er mit dem Schreiben. Aus der minutiösen Niederschrift eines Falls entstand sein 1988 erschienenes Erstlingswerk „Die Jury“. Ab da ging es Schlag auf Schlag. Schon sein zweites Buch „Die Firma“ (1991) wurde ein Bestseller, der 1993 auch seinen Weg nach Hollywood fand. Er wurde von Sydney Pollack mit Tom Cruise, Gene Hackman und Holly Hunter verfilmt. Seit 1991 widmet sich Grisham ganz dem Schreiben. Neben vielen Justiz-Thrillern befasste er sich auch mit anderen Themen und schrieb zudem Jugend- und Sachbücher. Heute lebt Grisham mit Frau und zwei Kindern auf einer Farm in Oxford, Mississippi.

Hinterhältig über den Tod hinaus

Worum geht es in „Das Testament“? Der altersschwache Industriemagnat Troy Phelan, elf Milliarden Dollar schwer, landet einen letzten Coup. Er lässt seine Kinderschar aus drei gescheiterten Ehen antreten, weil er beabsichtigt sein Testament zu verfassen. Das Gerücht, er leide unter einem Gehirntumor, macht bereits seit einiger Zeit die Runde. Begleitet wird die Verwandtschaft von drei angesehenen Psychiatern, die beglaubigen sollen, dass der alte Mann in vollem Besitz aller geistigen Fähigkeiten ist. Sein langjähriger Anwalt Josh Stafford hat das Testament bereits aufgesetzt. Troy stellt sich den Fragen der Psychiater, die ihm daraufhin beste mentale Gesundheit bescheinigen. In ihrem Beisein unterschreibt er das von Josh erstellte Testament, das die Söhne und Töchter reich bedenkt. Als die Ärzte jedoch den Raum verlassen haben, holt er ein weiteres Testament hervor, das alle vorherigen ungültig macht, und vererbt das gesamte Vermögen einer unehelichen Tochter namens Rachel Lane. Die ist als Missionarin irgendwo im brasilianischen Dschungel unterwegs. Den gierigen und weitgehend am Leben gescheiterten Sprösslingen gönnt er keinen Cent. Kaum hat er die Unterschrift unter das Dokument gesetzt, springt er aus dem Fenster seines Firmen-Hochhauses.

Wie zu erwarten, entbrennt eine heftige Auseinandersetzung um das Erbe. Ganze Horden von Rechtsanwälten werden von den verzogenen und völlig überschuldeten Kindern beauftragt, um Josh Stafford, der das Vermögen verwaltet, Paroli zu bieten. Doch der muss erst einmal herausfinden, wo die bisher restlos unbekannte Rachel Lane steckt. Also schickt er den abgehalfterten und alkoholabhängigen Anwalt Nate O’Riley in den Dschungel, um sie zu suchen.

Was denn nun? Justiz oder Abenteuer?

Als John Grisham „Das Testament“ schrieb, schlugen in seiner Brust ganz offensichtlich zwei Herzen. Das eine folgte seiner Leidenschaft als Anwalt und verfasste den Teil, der die juristische Auseinandersetzung beschreibt. Das andere wollte aber dann doch lieber einen Abenteuerroman schreiben, der im brasilianischen Pantanal spielt, einer Gegend, so sein Nachwort, die wunderschön und dennoch in gewisser Weise bedrohlich ist.

Daher muss man sich als Leser nach etwa hundert Seiten zunächst einmal vom typischen (wenn es so etwas überhaupt gibt) Justiz-Thriller verabschieden. Stattdessen begleitet man den von Selbstzweifeln geplagten Anwalt Nate bei der gefährlichen Reise durch den Dschungel. Man wird Zeuge, wie seine Helfer mit der Zeit zu Freunden werden, wie er steinzeitliche Ureinwohner trifft und wie er am Ende die Alleinerbin Rachel findet. Zwischen den beiden entwickelt sich eine seltsam diffuse Beziehung und er erfährt durch sie eine Art von Läuterung. Schließlich reist er, schwer erkrankt, unverrichteter Dinge wieder ab. Denn sie will von dem Erbe nichts wissen.

Justice
Foto: wp paarz – CC BY-SA 2.0

Der dritte Teil des Buches widmet sich dann erneut der gerichtlichen Auseinandersetzung und hier läuft Grisham tatsächlich zur Höchstform auf. Nate, der im Auftrag von Josh die Erbin Rachel Lane vertritt, nimmt in endlosen Befragungen die gesamten Verhältnisse jedes einzelnen Kindes der Phelan-Familie Stück für Stück auseinander. An diesem Punkt kommt der Roman noch einmal so richtig in Fahrt. Grisham schafft es, die Familie samt ihrer Anwälte ausgesprochen unsympathisch darzustellen. Korrupt, hintertrieben, einige faul, einige arrogant, einige spießig, aber alle durchweg geldgierig, gönnt auch der Leser schließlich der Brut nicht die Butter auf dem Brot. Und obwohl der verschiedene Troy Phelan ebenfalls ein hochgradiges Ekel war, kann man seine Entscheidung völlig nachvollziehen.

So verfolgt man die Befragungen dieser Herrschaften durch Nate O’Reily mit wachsender Genugtuung und denkt bei sich: „Geschieht Euch recht!“ Dass der Nachwuchs nur zum Teil Schuld an der eigenen Misere ist und vielmehr auch der giftige alte Herr einen gewaltigen Anteil daran trägt, weil er sich nie um sie gekümmert hat, wird von der voyeuristischen Schadenfreude des Lesers verdrängt. Mitleid kommt keine Sekunde auf.

Als etwas befremdlich, ja fast schon abschreckend empfand ich den religiösen Eifer der Missionarin Rachel Lane, wobei es weniger ihr eigenes Verhalten war, als vielmehr die Reaktion des eigentlich sehr weltlichen Nate O’Riley. Möglicherweise muss man selbst mal in einer tiefen Krise gesteckt haben, um zu verstehen, wie jemand, der vorher keinen Exzess ausließ, mit einem Mal die spirituelle Erleuchtung erfahren kann. Dennoch erschien mir dieser Wandel irgendwie nicht sonderlich plausibel. Aus seinem bisherigen Leben aussteigen und angesichts einer mit sich und der Welt in Einklang lebenden Frau ein neues Leben beginnen, ist völlig in Ordnung. Aber das dann gleich in einem plötzlichen Glauben an Gott zu manifestieren, das geht über meine erdbehaftete Vorstellungskraft. Da hat Grisham doch eine Nummer zu dick aufgetragen.

OK, er hat mich überzeugt

„Das Testament“ ist ein Justiz-Abenteuerroman. So paradox das klingen mag, aber das Buch enthält tatsächlich beide Elemente. Allerdings fährt John Grisham besonders dort zur Höchstform auf, wo er sich auf bekanntem Terrain bewegt – vor Gericht. Leider ist jedoch genau dieser Teil insgesamt ein wenig zu kurz geraten. Ich hätte mir die Schlacht zwischen Stafford/O’Riley und der buckligen Verwandtschaft mit ihren schleimigen Anwälten noch ausführlicher, noch dreckiger gewünscht. Doch auch so ist das Buch überaus unterhaltsam geschrieben, hält einen bei der Stange und zeigt deutlich, dass Grisham sein Handwerk mehr als versteht. Somit kann ich auch den Hype ein wenig nachvollziehen, denn mir hat das Lesen Spaß gemacht. Und wenn „Das Testament“ ein Indikator für die übrigen Bücher des Autors ist, dann wundert es mich nicht, dass Hollywood schon früh an seine Tür klopfte. Der Unterhaltungswert ist auf jeden Fall sehr hoch – und der nächste Grisham kommt für mich bestimmt.

Action
3/5
Anspruch
2/5
Spannung
3/5
Lesespaß
4/5
Mein Urteil
4/5

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