Niedersachsen hatte mal wieder die Wahl. McAllister/Birkner oder Weil/Wenzel/Piel? Offenbar liest sich letzteres Trio nicht nur flüssiger, sondern es schien auch die Wähler – inbesondere die ideologisch naturnahen – einigermaßen überzeugt zu haben. Eine direkte Wahl zwischen dem blassen Weil und dem Schwiegermutterschwarm McAllister wäre vermutlich völlig anders ausgegangen – vielleicht auch Demoskopie sei Dank, aber das ist ein anderes Thema.
Tja, und ich? Wie stehe ich jetzt da, der ich mir irgendwie Hoffnung gemacht hatte, die Piraten würden doch noch die Kurve kriegen? Habe ich meine Stimmen jetzt sinnlos verschenkt? Zunächst einmal scheint es so. Denn gebracht hat es ja nichts. Und dabei war der Hype, dem auch ich vor einem Jahr ein wenig auf den Leim gegangen war, bei mir innerlich längst erloschen. Zu seltsam waren die Auswüchse, die diese junge Pflanze da austrieb. Doch so schnell wollte ich nicht aufgeben. Ich wollte – wider besseren Wissens – weiterhin ganz fest daran glauben, dass es eben doch nicht nur ein Hype war.
Für den politisch Interessierten, aber aktuell nicht Aktiven, also mich, hat die Partei in den letzten zwölf Monaten zunehmen an Attraktivität verloren. Sie befassten sich mit Themen, die zwischen bürgerfremd und schlichtweg albern hin und her pendelten. Sie stritten öffentlich über alles und nichts und trugen eine desolate Diskussionskultur unter der Überschrift “Transparenz” mit einer gehörigen Portion Arroganz demonstrativ zur Schau. Die vermeintlich objektiven Medien stürzten sich auf die Shooting Stars und zelebrierten genüsslich die deutscheste aller deutschen Tugenden, das Miesmachen – unter anderem getrieben von der Angst, die Piraten könnten vielleicht doch das verlagslebenverlängernde Leistungsschutzrecht stoppen. Ganz im Sinne des Mottos “Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten” wühlten sie in den untersten Schubladen herum. Sie zogen die absurdesten Schlüsse und stellten die freibeuterischen Akteure mal der Lächerlichkeit preis, mal an den Pranger. Und das deutsche Volk mit den permanent kanzleringleich abwärts weisenden Mundwinkeln nahm das mediale “Bäh!” dankend und vor allem ohne es zu hinterfragen an. Denn was in der Zeitung steht, muss ja stimmen.
Doch die Steilvorlagen der Piraten waren oft auch einfach zu einladend. Ein Vorstandsmitglied, das sich recht ungeschickt bei der Vermarktung eines eigenen Buches verhält, ein weiteres, das damit hausieren geht, zeitweise von ALGII zu leben und dann der leider allzu menschliche, aber bei den Piraten völlig unpassende Hang einiger Mitglieder, sich durch sinnloses Geschwätz in den sonst verpönten Medien profilieren zu wollen.
Bei jedem Interview dieser Art sanken in meiner Bewertungsskala gleichzeitig Sympathiepunkte und Aufrichtigkeitsbonus. Hatte ich Anfang April 2012 noch im Brustton der Überzeugung davon berichtet, dass es neben vielen Programmpunkten gerade Sympathie und Ehrlichkeit waren, die mich zum Sympathisanten machten, brachte der Juli für mich bereits die erste Ernüchterung: Es gab auch bei den Piraten Karrieristen. Doch dass es so schlimm würde, hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht geahnt.
Und trotzdem: Ich glaube an die Vernunft. Wenn die Partei nicht wieder in der Versenkung verschwinden will, muss sie den Ruf der Mitglieder, der sich in einem Facebook-Kommentar mit den Worten “Können die jetzt endlich diese ganzen Aufmerksamkeits-Gender-***** a la Domscheit-Berg und Co herausschmeissen und sich wieder den echten Bürgerrechten widmen?” manifestiert, hören und handeln. Denn Menschen, denen es wichtiger ist, gesehen und gekannt zu werden, dienen nur in seltenen Fällen als Sympathieträger. Sie sind viel zu sehr auf ihr eigenes Ich fixiert und feilen so lange daran herum, bis sie genauso künstlich wirken, wie die trainierten Polit-Roboter unserer aktuellen Regierung.
Im Herbst haben die Piraten DIE Chance ihres bisherigen Bestehens. Sie können zeigen, dass sie eine Ernst zu nehmende Partei sind und den Keim eines frischen, modernen und hoffentlich dann wieder aufrichtigen Politikstils sogar bundesweit setzen. Sie können dann wirklich etwas bewegen. Dafür ist es aber erforderlich, dass sie wieder Back to the Roots gehen, ihr unbestritten ambitioniertes und modernes Programm mit menschelnder Ehrlichkeit ungekünstelt vertreten. Und auch wenn es dem Prinzip der “Transparenz” widerspricht: Bitte, liebe Piraten, tragt Eure Streitereien hinter verschlossenen Türen aus, zumindest, solange Ihr es noch nicht gelernt habt, zu diskutieren, ohne Euch zu zerfleischen. Dazu gehört auch, dass die allzu Selbstbewussten unter Euch zum Wohle des ursprünglichen Piraten-Gedankens, Ambitionen und Selbstdarstellungstrieb deutlich zurück nehmen – und wenn sie es nicht können oder wollen, sind sie für die Piraten eben nicht geeignet, basta!
Ich werde Euch weiter beobachten, jedes Tweet aufsaugen, jeden Facebook- und Google+-Post gründlich lesen und an passender Stelle auch kommentieren. Vorerst bleibe ich Sympathisant und wenn es Euch bis zur Bundestagswahl gelingt, wieder auf den Boden zurück zu kommen, sind Euch meine Kreuze auch sicher. Anderenfalls muss ich ein anderes Übel wählen, das aber dann immer noch ein “Übel” bleibt – nur ändern wird sich dadurch in der deutschen Politik bedauerlicherweise nichts. Das habt zur Zeit nur Ihr in der Hand.
Und jetzt? Ich habe zwei Wählerstimmen an eine Partei gegeben, die mit sich selbst nicht so recht im Reinen zu sein scheint, und wie zur Bestätigung dieser Vermutung, fahren die Mitglieder mit ihrem Selbstzerfleischungstrieb munter fort. In Twitter, Facebook und Google+ wird aufeinander und auf andere (z.B. die Grünen, obwohl es doch gerade hier einige Gemeinsamkeiten gibt) eingeschlagen, als habe man nichts dazu gelernt. Mit Stil hat das nichts zu tun und vor allem nicht mit dem dringend notwendigen Inne halten, Nachdenken, Fehler erkennen und Beheben – um dann mit neuem Konzept wieder zum Angriff auf den verkrusteten Politik-Zirkus über zu gehen.